Ötztaler Radmarathon 2018 PDF Drucken E-Mail
Freitag, den 21. September 2018 um 09:59 Uhr

Ötztaler Radmarathon 2018

238 Kilometer, 5.500 Höhenmeter, über 10 Stunden auf dem Rad: Der Ötztaler Radmarathon ist für jeden Radsportler eine echte Härteprüfung. Die drei Deuzer Wolfgang Schlemper und Horst Grübener mit Sohnemann Marc sind das Rennen bei übelsten Bedingungen gefahren und gingen dabei an ihre Grenzen.

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Hier eine Reportage:

Jetzt stehen wir also hier. Um kurz nach sechs am Sonntagmorgen. In Sölden. irgendwo hinter der Startlinie. Zwischen rund 4.000 anderen, die sich diesen fulminanten Rad-Trip vorgenommen haben: Ötztaler Radmarathon. 238 Kilometer, 5.500 Höhenmeter. Über vier Pässe. Es ist so was wie die Königsveranstaltung für Radsportler. Seit sich die drei vor ca. acht Monaten angemeldet haben, sind sie so viel Rad gefahren, wie es eben ging. Mindestens 5.000 km sollte man in den Beinen haben und auch viele lange Touren gefahren sein. Auch Berge wollen zu genüge trainiert werden. Oft waren diese Ziele bei Beruf und Familie zeitlich nicht drin. Man hatte bis zum Start in Sölden immer das Gefühl: Du hast zu wenig gemacht…..

Das Ziel an diesem nasskalten Morgen daher erstmal: Ankommen.

Es irgendwie schaffen. Jeder der drei hat wenn er ehrlich ist, nicht nur Respekt vor den kommenden neun, zehn, oder elf Stunden, sondern auch Angst vor den Abfahrten, der Menge der Fahrer und ob es der eigene Körper schafft, diesen Bedingungen standzuhalten.

Es ist noch dunkel. Und saukalt. So um die 7 Grad. Und wir stehen im dicken Nebel. Nicht die besten Bedingungen für eine ausgedehnte Radtour. Egal. Alle haben sich dick in Regensachen eingepackt. Wie heißt der Spruch? Nur die Harten...

Noch regnet es nicht, das bessert die Stimmung im Starterfeld.

6.45 Uhr. Der Startschuss - ein mächtiger Böllerschlag schickt uns auf die Reise. Sollte er eigentlich. Aber erst einmal stehen wir noch gefühlte zehn Minuten, ehe sich der Stau langsam auflöst. Knapp 4.000 Leute mit Rad passen eben nicht gleichzeitig auf eine enge Dorfstraße. Los geht’s. 

"Macht aber Spaß, dieser Ötztaler", denkt man nach einer halben Stunde leichter Bergabfahrt, "rollt ja ganz gut." Aber leider nur 30 Kilometer lang bis Ötz. Da geht's nach zwar kalter, aber entspannter Rollerei in den Kreisverkehr und dann rechts hoch, in Richtung Kühtai. Der erste von vier Pässen. 18,5 Kilometer, 1.160 Höhenmeter. "Ruhig bleiben und Rhythmus finden. Jetzt bergauf. Und: Stau. Dann rollt's und man findet hoffentlich einen ganz guten Tritt. Die Kuhglocken auf den Wiesen läuten - idyllisch. Aber mein Gott, ist das Ding steil. Bis zu 18 Prozent. Ca. 1,5 Std. später ist man endlich oben auf dem Pass an der Labe Station. Essen fassen heißt es hier bei Kilometer 51. Ist ja entscheidend beim Ötztaler: Gut ernähren unterwegs - haben die Profis gesagt. Kuchenstücke, Energieriegel, Elektrolytgels, Salztabletten – jeder hat seine eigene Strategie wenn es um die Verpflegung geht. Alternativ eine heiße Nudelsuppe gegen die Kälte (mit viel Salz), dann alle Trinkflaschen auffüllen und weiter geht's. 

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Und, Mist: Regen. Es schüttet plötzlich und ist echt schlimm kalt. 1.300 Höhenmeter runter ins Inntal, in Nullkommanichts zittern alle wie Espenlaub und sind total eingefroren, die Hände steif, kaum bewegbar. Furchtbar! Aber irgendwie geht's ohne Sturz auf regennaßer Abfahrt gut und als nächstes kommt der Anstieg zum Brenner. 37 Kilometer, nur rund 800 Höhenmeter. Zum Glück ist es nicht so steil, und wenn man eine Gruppe findet, in der man sich beim Windschattenfahren gut abwechseln kann, können einige Körner gespart werden. So langsam wird's auch etwas wärmer, sogar die Füße tauen wieder auf. Aber es zieht sich. Und man merkt auch allmählich schon das Gesäß. Schließlich sitzen alle schon seit fast fünf Stunden auf dem Sattel. Länger fährt man daheim eigentlich nur ganz selten. Nun kommt die zweite Labe Station oben am Brenner bei Kilometer 125 an. Es gibt viele, die sich mit ihrem Rad unterm Hintern an die Tische drängeln, es wird geflucht, viele sind immer noch verdammt hektisch unterwegs. Bei vielen ist es auch der Kampf gegen die Karenzzeit an den Bergen, wer zu spät ist, wird raus genommen und muss mit dem Besenwagen vorlieb nehmen. Um sich das Gedränge und Zeit an den Verpflegungsstellen zu sparen, hat Marc den drei Deuzern vorab Energieriegel gebacken und versucht nach Möglichkeit die ein oder andere Verpflegungsstelle auszulassen und sich unterwegs mit den „Onbord-Riegeln“ bei Kräften zu halten.

Nach kurzer Pause gehts jetzt wieder knackig bergab, 500 Höhenmeter runter nach Sterzing. Und man merkt: Wir kommen in den Süden. Unten angekommen weht ein fast schon laues Lüftchen. Alles ausziehen was geht und dann hinten ins Trikot knüffeln. Jetzt sind wir bereit für den nächsten Berg, den Jaufenpass. Das Ding ist steil und die Beine wollen eigentlich schon nicht mehr so richtig. Die Sitzposition nochmal ein wenig ändern und den Rücken auch was lockern und irgendwie kommt man wieder in den Tritt. Aber : Es geht 15 Kilometer steil bergauf. Seinen Rhythmus finden und nicht überdrehen. Und immer wieder trinken ist wichtig, die beiden großen Trinkflaschen müssen bis oben wieder geleert sein. Auch Essen nicht vergessen! Riegel, Banane oder Power Gels, die an der letzten Labe Station eingepackt wurden. Wichtig, dass die runter gehen. Aber auch nicht so leicht, wenn man am Berg so pumpen muss, wie jetzt hier. Aber irgendwie schafft man es dann doch bis oben, es ist fast zwei Uhr, als Wolfgang und Horst auf dem Jaufenpass ankommen. Immer noch gut eine knappe Stunde vor der Karenzzeit. Oh je - bloß nicht aufgesammelt werden vom Bus, weil man die erlaubte Zeit überschritten hat.

Entspannung in der Abfahrt? Von wegen!
Oben also keine lange Pause. Nochmal, Suppe oder Salzgebäck, viel trinken, oder nochmal Kuchen zwischen die Zähne schieben. Aber auch jetzt wieder: Temperatursturz und Regen. Man wird verrückt. Wieder friert bei der Abfahrt alles total ein. Runter nach St. Leonhard – über 20 Kilometer schnelle Fahrt. Und nicht entspannend, denn die vielen Kurven und Kehren wollen ja alle richtig angefahren werden. Zudem viele Längsrillen in der Abfahrt bei denen man mit dem Rennrad tierisch aufpassen muss. Unten angekommen fragt man sich nach gut 180 Kilometern: Wie zum Geier bezwing ich jetzt noch diesen ekelhaften Riesen, der da noch auf mich wartet? Das Timmelsjoch! Der schwerste Anstieg des Rennens: Knapp 30 km Passstraße mit rund 1.800 Höhenmeter. Das wird nochmal sportlich!
 

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Im kurzen Flachstück der Passanfahrt nochmal durchatmen, den Nacken und Rücken lockern und ran an das Ding.
Könnten die Beine sprechen? Oder das Gesäß? Eigentlich nicht, aber man kann bei vielen deutlich die Rufe hören: "Hör auf! Hör auf!" Jede Pedalumdrehung tut weh, der Schmerz zieht auch fies in den Rücken. Hat man zu wenig getrunken? Wann geht nichts mehr? Außerdem: Kann man kaum noch sitzen! Aufhören? In den Bus steigen, der da gerade mit ein paar Gestrandeten vorbeifährt? Nein! Im Zweifel lieber eine kleine Pause. Und weiter.

Irgendwie muss es bis zur nächsten Labe Station in Schönau noch gehen. Elf Kilometer sind es von hier noch bis zum Gipfel. Das muss doch zu packen sein! Aber der Körper will nicht mehr. Außerdem gießt es wieder in Strömen, die Temperaturen gehen in Richtung Null Grad. Ist sicher kein schöner Anblick, wie man jetzt so auf der Straße rumeiert. Aber es geht allen so. Überall am Straßenrand hocken die Geplagten, ruhen aus und denken wahrscheinlich das gleiche: Am besten wäre es, sich jetzt in den Bus zu setzen und die Sache dranzugeben. Aber Aufgeben ist keine Option. Der innere Schweinehund muss eben bekämpft werden.

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Happy End: Die Ziellinie?! 

Nein! Man muss es schaffen, wofür sonst die Quälerei. Mit letzter Kraft schaffen es alle bis hinauf aufs Timmelsjoch. Es ist jetzt wieder schweinekalt, fehlt jetzt eigentlich auch nur noch eines: Schnee. Der bleibt aber zum Glück aus. Auf der Passhöhe auf knapp 2500m ü. NN hinter einem RedBull Torbogen wartet ein großes Banner mit der Aufschrift: „Da hast du deinen Traum!“ – Glücklich und erschöpft rollt einer nach dem anderen frierend hinein in die Abfahrt hinunter nach Sölden. Ausschließlich hinunter wäre schön, aber es kommt tatsächlich nochmal ein kleiner Gegenanstieg, der den ein oder anderen beinahe zum Wahnsinn treibt, aber irgendwie kommt man auch noch über die 200 Höhenmeter im Zwischenanstieg, bevor es wirklich runter geht nach Sölden. Wo alle das große Happy End erwartet: Die Ziellinie. Alle Siegerländer schaffen es sicher ins Ziel. 

Marc Grübener ist nach 8:55.27 Std im Ziel. In Anbetracht der Bedingungen eine Traumzeit für ihn. Horst Grübener erreicht in 10.48.00 Std. das Ziel. Wolfgang Schlemper überquert die befreiende Ziellinie in Sölden nach 11.29.57 Std! 

518 Radfahrer von 3876 Startern mussten unterwegs aufgeben. Ca. 500 Teilnehmer sind aufgrund der Witterungsbedingungen erst gar nicht an den Start gegangen.

Der Radsportprofi Mathias Nothegger aus Österreich kam nach beachtlichen 7:04 Std als Sieger ins Ziel und der letzte Finisher erreichte nach 13:26 Std überglücklich allen Wiederständen getrotzt zu haben das Ziel. 

Die Finisherzeiten der 3 Deuzer im Überblick:

Grübener Marc,1989                     Netphen, 8:55.27,5

Grübener Horst,1960                    Netphen,10:48.00,3

Schlemper Wolfgang,1961           Netphen,11:29.57,1